Das neue Syrien kommt aus Wilmersdorf :intervention de l'Allemagne dans le conflit syrien

Publié le par Mahi Ahmed

Assad-Gegner Das neue Syrien kommt aus Wilmersdorf

Monatelang haben sich Assad-Gegner geheim in Berlin getroffen – mit Wissen und Willen der Bundesregierung.

  • Von: Jörg Lau
    • Datum: 25.07.2012 - 13:39 Uhr

© EPA/STR/dpa

 

Syrische Rebellen in Aleppo

Zwischen dem Ludwigkirchplatz in Berlin-Wilmersdorf und Damaskus liegen 3700 Kilometer Luftlinie. Doch wenn eines Tages ein neues Syrien aus den Trümmern der Assad-Diktatur entsteht, könnten wesentliche Impulse aus dem alten preußischen Amtsgebäude mit der Hausnummer 3–4 stammen, in dem ein der Bundesregierung naher deutscher Thinktank residiert.

Bei der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) hat sich seit Januar eine Gruppe von bis zu 50 syrischen Oppositionellen aller Couleur geheim getroffen, um Pläne für die Zeit nach Assad zu schmieden. Das geheime Projekt mit dem Namen »Day After« wird von der SWP in Partnerschaft mit dem United States Institute of Peace (USIP) organisiert, wie die ZEIT von Beteiligten erfuhr. Das deutsche Außenministerium und das State Department helfen mit Geld, Visa und Logistik. Direkte Regierungsbeteiligung gibt es wohlweislich nicht, damit die Teilnehmer nicht als Marionetten des Westens denunziert werden können.

Zwar nehmen auch Angehörige der Freien Syrischen Armee teil, die in Syrien die Kämpfe der Rebellen anführt, doch der Weg hin zum Sturz Assads und die damit verbundene Debatte um Fluch und Segen militärischer Interventionen wird in Berlin bewusst ausgeklammert. Die Frage bei den Treffen lautet: Wie kann der Übergang zu einem demokratischen Syrien organisiert werden? Das unweigerliche Ende des Regimes wird schlicht vorausgesetzt, als eine Art Arbeitshypothese. Darin zeigt sich, dass die Bundesregierung schon viel länger mit dem Sturz des syrischen Regimes kalkuliert, als Berliner Diplomaten zugeben können. Und: Deutschland ist sehr viel stärker in die Vorbereitungen der syrischen Opposition einbezogen, als man bisher öffentlich erklärte.

Dies allerdings mit gutem Grund: Unter beträchtlichem Aufwand wurden diskret Ex-Generäle, Wirtschafts- und Justizexperten sowie Vertreter aller Ethnien und Konfessionen -– Muslimbrüder eingeschlossen, aber auch säkulare Nationalisten – aus der ganzen Welt nach Berlin eingeflogen. Die Sache musste unter dem Radar der Öffentlichkeit gehalten werden, um eine freie Debatte zu ermöglichen und Teilnehmer vor dem langen Arm des syrischen Geheimdienstes zu schützen. Außerdem: Solange Deutschland noch an Assad und seine Paten in Moskau und Peking appellierte, wäre es kontraproduktiv gewesen, konkrete Planungen für ein freies Syrien offenzulegen.

Nach der Eskalation der Kämpfe und dem Scheitern der Diplomatie durch das Veto Russlands und Chinas aber ist ein »Wendepunkt« (Westerwelle) erreicht; Deutschland stellt sich offener hinter die Opposition.

Der Syrienkenner Volker Perthes, Direktor der SWP, betont, die beteiligten Regimegegner hätten »sich selbst rekrutiert, denn es ist nicht unsere Aufgabe, hier eine neue syrische Regierung auszuwählen«. Ziel des Projekts sei vielmehr, Prioritäten beim Umbau der Assad-Diktatur in eine Demokratie zu identifizieren. »Vielleicht wichtiger noch«, fügt Perthes hinzu: »Wir haben der Opposition die Chance gegeben, unbeobachtet und ohne Druck eine Diskurscommunity zu schaffen.« Im August soll ein Dokument veröffentlicht werden, das den Konsens der Opposition darüber darstellt, wie die neue Verfassung aussehen muss, wie Armee, Justiz und Sicherheitsapparate reformiert werden können, wie die Konfessionen künftig friedlich zusammenleben können und die Wirtschaft umgebaut werden muss.

Für Berlin als Tagungsort sprach von Beginn an, dass es kaum möglich gewesen wäre, die Teilnehmer aus dem islamistischen Spektrum in die USA zu bringen. Außerdem sind mit Perthes und der Projektleiterin Muriel Asseburg langjährige Kenner Syriens vor Ort verfügbar. Deutschland hat zudem wertvolle eigene Erfahrung mit der Überwindung von Diktaturen: Perthes erzählt, ein Besuch bei der Stasi-Unterlagenbehörde habe bei den Syrern heftige Debatten über den Umgang mit Geheimdienstakten und belasteten Mitarbeitern ausgelöst. Eines der wichtigsten Themen ist die Frage, welche Teile des Sicherheitsapparats und der Justiz man bewahren sollte. Der Irak gilt im Nachbarland Syrien als abschreckendes Beispiel dafür, wie die Totalabwicklung des alten Regimes ins Chaos führen kann.

Die Bundesregierung zieht mit der Förderung der syrischen Opposition Konsequenzen aus der Fehlentscheidung, im Libyenkonflikt mit Russland und China gegen eine Intervention gestimmt zu haben. In diesem Zusammenhang sind auch die offiziellen Aktivitäten Deutschlands im Rahmen der Freundesgruppe des syrischen Volkes zu sehen. Darin sind 70 Staaten vertreten, die trotz der russisch-chinesischen Blockade für den Wandel in Syrien eintreten. Deutschland hat in der Freundesgruppe zusammen mit den Vereinigten Arabischen Emiraten die Verantwortung für die Arbeitsgruppe Wirtschaftlicher Wiederaufbau und Entwicklung übernommen. Die erste Sitzung fand Ende Mai in Abu Dhabi statt, die zweite Ende Juni in Berlin. In Berlin wurde jüngst ein Sekretariat eingerichtet, das die Sitzungen koordinieren und den Kontakt zur syrischen Opposition halten soll, geleitet vom ehemaligen Chef des afghanischen Büros der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) Gunnar Wälzholz. Das Auswärtige Amt finanziert das Sekretariat mit 600.000 Euro für zunächst sechs Monate. Deutsche Diplomaten äußern sich erfreut, dass der Syrische Nationalrat, der größte Zusammenschluss oppositioneller Kräfte, sich beim Treffen der Arbeitsgruppe klar zu Marktwirtschaft und Korruptionsbekämpfung bekannt hat.

Beide von Deutschland geförderten Aktivitäten, die klandestinen und die öffentlichen, passen zusammen: Ob die Pläne der Oppositionellen für ein demokratisches Syrien umgesetzt werden können, hängt wesentlich davon ab, ob der wirtschaftliche Wiederaufbau allen Syrern Chancen bietet.

Ob die Berliner Transformationskonzepte aber am Ende überhaupt zum Zuge kommen, hängt nicht zuletzt davon ab, wie viel Hass bis zu Assads erwartbarem Abgang zwischen den syrischen Oppositionsgruppen noch freigesetzt wird. Alle Beteiligten, heißt es, sind sich dessen bewusst. Dass Deutschland sich diesmal aufrichtig bemüht hat, dürften sie aber in jedem Fall nicht vergessen.

Reden, reden, reden

Welche Konsequenzen es hat, wenn der Westen nicht interveniert: Chaos, endloses Leid und Vertreibung.

Militärische Interventionen werden zurzeit äußerst kritisch gesehen. Zu Recht, schließlich ist der Krieg in Afghanistan ziemlich schiefgegangen, der im Irak war von vornherein illegitim und hat eine lange Phase von blutigem Chaos nach sich gezogen. Es läge also nahe, militärische Interventionen künftig zu unterlassen.

Allerdings ist – in Syrien – seit Monaten zu beobachten, welche Kosten es haben kann, wenn der Westen nicht interveniert, ja wenn er nicht einmal willens oder in der Lage ist, gegenüber einem um sich schießenden Diktator eine glaubwürdige Drohkulisse aufzubauen.

Unabhängig von der Frage, ob es jemals einen idealen Zeitpunkt für eine Intervention in Syrien gegeben hat, können und müssen nun alle mit ansehen, was es konkret heißt, wenn dem Völkerrecht Genüge getan wird, weil sich der Westen den Vetos und den Resolutionsverwässerungen der Russen beugt. Was Nichteinmischungspolitik für Konsequenzen hat. Wie das Ausblutenlassen eines Bürgerkrieges, das einige schon bei den Balkankonflikten gefordert haben, genau aussieht.

Dieser Tage springt der syrische Bürgerkrieg auf Damaskus über. Einige Experten behaupten, dass die Rebellen an einem Wendepunkt stünden, weil sie schon über mehr Land herrschten als das Regime. Selbst wenn das stimmen sollte, muss man fürchten, dass die bewaffneten Konflikte, die Massaker und Vertreibungen noch monatelang weitergehen. Dabei hat der Krieg nach Schätzungen der UN bereits jetzt 15000 Tote gefordert, so viel wie der gesamte Libyen-Krieg, bei dem bekanntlich der Westen entgegen dem Votum von Russen und Deutschen interveniert hat.

Gegen eine Intervention in Syrien wurde zu Recht eingewandt, dass dann eine Destabilisierung der Region drohe. Allerdings versetzt auch der lange Bürgerkrieg die Region mehr und mehr in Unruhe. Unmittelbar, was den benachbarten Libanon und die Grenzregion zur Türkei angeht, alsbald dann in Gestalt von Flüchtlingsbewegungen gen Europa, nicht zuletzt strategisch mit Blick auf Assads Verbündete in Teheran.

Im Falle von Syrien hat der Westen ausweislich des Nato-Generalsekretärs militärisches Engagement von Anfang an ausgeschlossen. Die Folge war, dass die Rebellen sich unter dem militärischen Druck Assads und im Angesicht von dessen Gräueltaten andere, weniger freiheitlich gesinnte Verbündete gesucht haben, um an Waffen zu kommen. Die nichtmilitärische Politik des Westens hat also ungewollt zur Militarisierung und Brutalisierung des Konflikts beigetragen. Und dazu, dass unter den Aufständischen die radikalen Kräfte immer stärker wurden. Nun finden sich bei den Rebellen mehr und mehr solche Leute, denen man tatsächlich am liebsten nicht militärisch geholfen haben möchte.

Das ist eine weitere wichtige Lehre, die sich aus einer Nichtintervention ergibt: Nicht einzugreifen, das lässt Situationen und Konstellationen entstehen, die dann wieder als Argument dazu dienen können, auch künftig nicht einzugreifen, weil ja immer alle Beteiligten (gleich) böse sind und alles furchtbar unübersichtlich ist. Nicht zu intervenieren kann also leicht zu einer Ideologie des Nichtintervenierens führen.

Ohnehin zeitigte der Verzicht auf militärische Optionen in Syrien problematische Wirkungen auf den Westen selbst. Denn er kann zwar untätig sein, aber nicht still. Seit mehr als einem Jahr richten westliche Politiker scharfe und immer schärfere Forderungen an Assad, der sie schlicht ignoriert. Westliche Politik erweckt dabei einen verbalradikalen, hilflosen Eindruck. Auch die Vermittlungsversuche der UN wirken mitunter wie bloße kriegsbegleitende Diplomatie, die in der Substanz fast nichts bewirkt.

Eingreifen oder nicht – das kann keine Frage politischer Moden sein

All das soll, wie gesagt, nicht belegen, dass es richtiger gewesen wäre, in Syrien zu intervenieren, als es zu lassen. Es soll nur sagen: Wir leben in einer Welt für Erwachsene, in einer Welt, in der Ausreden nicht zählen und Ideologien nichts bringen. Wer sich gegen eine Intervention entscheidet, muss unter ungünstigen Umständen mit exakt denselben Folgen rechnen, wie sie bei einer schlecht begründeten oder fahrlässig durchgeführten Intervention eintreten: Der Konflikt militarisiert sich, die Zahl der Toten ist immens, die Region destabilisiert sich, der Westen blamiert sich, die UN delegitimieren sich, das Völkerrecht wird ausgehöhlt, weil es dazu missbraucht wird, einen Diktator zu decken.

Im Moment droht die Frage von Krieg und Frieden zu einer von Moden und Phasen zu verkommen. Der Fall der Mauer, der Untergang der Sowjetunion und der 11. September 2001 haben zu einer interventionistischen Phase geführt, der Westen hat auf dem Balkan, in Afghanistan, im Irak, in Libyen und anderswo mit kriegerischen Mitteln eingegriffen und dabei einiges richtig, aber noch mehr falsch gemacht.

Auf die Phase des Interventionismus scheint daher jetzt eine Phase des Antiinterventionismus zu folgen. Vor allem die deutsche Regierung, zumal die Kanzlerin haben sich zu strikten Gegnern von militärischem Engagement entwickelt (siehe Seite 2). Und einige, die vor zehn Jahren besonders engagiert für die Invasion in den Irak und in Afghanistan waren, sind heute im Falle von Libyen und Syrien die vehementesten Interventionsgegner. Doch darf die Frage, ob der Westen militärisch eingreift, keinerlei Moden und Phasen unterliegen. Jeder Fall muss einzeln geprüft werden, jeweils müssen die Folgen einer Intervention genau bedacht werden. Und die einer Nichtintervention. Siehe Syrien.

Diesen Artikel finden Sie als Audiodatei im Premiumbereich unter www.zeit.de/audio

Pour être informé des derniers articles, inscrivez vous :
Commenter cet article