Ägyptens Armee:Die unheimliche Macht am Nil
Ägyptens Armee
Die unheimliche Macht am Nil
Aus Kairo berichtet Matthias Gebauer
Das Militär hat nach dem Sturz von Husni Mubarak alle Macht im Land: Ein Rat aus Generälen soll den Weg hin zu einem neuen Staat bereiten. Doch wollen die Armeeführung und die Tausenden Offiziere wirklich einen Umschwung zu einem demokratischen und freien Ägypten?
Kaum hatte der Rücktritt des Präsidenten Husni Mubarak Kairo am Freitag in Euphorie versetzt, waren sie wieder da, die verwirrenden Bilder. Auf Statuen, den Kanonenrohren ihrer Panzer und unten auf der Straße feierten Soldaten der ägyptischen Armee mit den Regimegegnern Arm in Arm die Absetzung ihres Staatschefs. Der war bis dahin auch ihr oberster Kommandeur, sie waren ihm treu ergeben. Die Revolution am Nil aber, so schien es, war ja erst durch die Unterstützung des Militärs gelungen oder zumindest durch deren Zurückhaltung geglückt. Ein Triumph ohne blutigen Kampf.
Genau dieses Militär hat nun nach dem Sturz Mubaraks alle Macht in Ägypten. Faktisch steht der Staat unter Militär-Herrschaft. In Form des Hohen Militärrats, dem Verteidigungsminister Mohammed Hussein Tantawi und Stabschef Sami Hafes Enan angehören, soll die Armeeführung den Übergang zu einem neuen Ägypten sichern. In jedem anderen Land der Erde hätte man die dürre Mitteilung des Vize-Präsidenten Omar Suleiman vom Freitag als Vollendung eines Militär-Putsches interpretiert. In Ägypten und weltweit wurde zunächst nur das Ende der 30-jährigen Mubarak-Herrschaft gefeiert.
In den vergangenen Tagen wurde das Militär stets als Puffer zwischen den verschiedenen Fraktionen beschrieben. In der Tat ist die Armee allein durch die Zahl an Soldaten -mindestens 400.000 Mann im Einsatz, hinzu kommt noch mal rund die gleiche Zahl an Reservisten - tief in der ägyptischen Gesellschaft verwurzelt. Kaum eine Familie hat nicht wenigstens einen Sohn im Armee-Apparat. Schon deswegen war es von Beginn des Aufruhrs an kaum vorstellbar, dass normale Einheiten brutal gegen die Proteste vorgehen würden. Unklarer war dies bei den Spezialeinheiten wie der Präsidentengarde.
Mammut-Aufgaben für die Armee
Die Erwartungen an das Militär sind nun gewaltig. Ohne Übertreibung sagte Großbritanniens Premier David Cameron kurz nach dem Fall Mubaraks, die ganze Welt schaue nun auf die Armee. Wenig später lobte US-Präsident Barack Obama die bisherige Rolle des Militärs, er nannte diese "verantwortlich und patriotisch". Gleich danach aber stellte er der Führung einen Aufgabenzettel aus: Der Hohe Rat müsse die Stabilität garantieren, den Ausnahmezustand aufheben, freie Wahlen organisieren, alle politischen Gefangenen freilassen und ein Justizsystem aufbauen.
Inzwischen haben sich die neuen Machthaber öffentlich geäußert - mit zwei wichtigen Anliegen. Zum einen sagte das Militär zu, alle internationalen Verträge achten. "Die arabische Republik Ägypten bleibt allen ihren regionalen und internationalen Verträgen verpflichtet", hieß es in einer Erklärung der Armee am Samstag. Das zielt insbesondere auf den Friedensvertrag mit Israel ab. Zum anderen soll die ägyptische Regierung vorerst im Amt bleiben. Die Regierung solle die laufenden Geschäfte weiterführen, bis eine neue gebildet worden sei. Die Armeeführung versprach zugleich einen "friedlichen Übergang" zu einer neu "gewählten zivilen" Führung. Einen Zeitplan nannten die Militärs aber nicht.
Westliche Diplomaten mutmaßen, dass die Generäle mehrere zivile Beauftragte für verschiedene Aufgaben ernennen werden. Diese sollen dann vermutlich auch die ersten Gespräche mit der Opposition führen. Möglich scheint aber auch, dass der Rat durchaus strenge Regeln für das tägliche Leben erlässt, um möglichst schnell einen Weg aus dem Chaos und wirtschaftlichen Stillstand der vergangenen beiden Wochen zu finden.
Die Ansprache von Obama, weitgehend durch pathetische Geschichtsvergleiche geprägt, verdeutlicht, wie sehr die USA auf diesen Militärrat als Ansprechpartner setzen. Washington war zunächst mehr als zögerlich, den Wunsch der Protestbewegung zum Sturz von Mubarak zu unterstützen. Zu sehr fürchtete man für die Zeit nach dem Polit-Tod des engen Verbündeten der USA Chaos oder gar die Machtübernahme durch Islamisten. Nun, so das Kalkül, soll das Militär einen geordneten Übergang sichern - freilich immer unter Aufsicht des Großen Bruders auf der anderen Seite der Erde.
Militärputsch als Fest der Demokratie überschminkt
Zu keiner Institution in Ägypten haben die USA bessere Kontakte als zum Militär. In das Budget des engen Partners im Kampf gegen den Terrorismus pumpt Washington jedes Jahr gigantische 1,3 Milliarden Dollar. Dafür erledigten Armee und ägyptische Geheimdienst gern auch mal die Drecksarbeit wie Folter-Verhöre oder langjährige Inhaftierungen von Terror-Verdächtigen ohne jegliche Beweise. Die Offiziersränge werden regelmäßig in Washington geschult. So sichert sich das Pentagon gute persönliche Verbindungen in alle Teile der Armee. Diese zahlen sich nun aus.
Das Vertrauen in diese Kontakte scheinen die einzige Erklärung, warum man den faktischen Militärputsch als Fest der Demokratie überschminkte. In Wirklichkeit haben sich die Militärs am Ende von Mubarak gelöst, da sie erkannten, dass die Welle des Protests nicht mehr aufzuhalten war. Sie wollten ihre Haut retten, nicht mit Mubarak untergehen. Vorsichtig und stets taktisch wichen sie Schritt für Schritt vom Präsidenten ab. Glaubt man US-Presseberichten, sicherten sich sowohl Verteidigungsminister Tantawi als auch sein Stabschef dabei in Washington ab. Dann erst garantierten sie, nicht auf die Demonstranten zu schießen.
Öffentlich aber spielten die Militärs großes Polit-Theater. Zeitweise forderten sie öffentlich zum Ende der Demonstrationen auf, was viele Beobachter als Zeichen der Mubarak-Treue bewerteten. Im streng abgeschotteten Führungszirkel aber wartete man schlicht ab, ob sich das alte Regime noch halten ließ oder nicht. Der Wendepunkt war erst erreicht, als sich Tantawi in der vergangenen Woche erstmals selbst auf dem Tahrir-Platz zeigte und so symbolisch von der alten Machtclique, in der er jahrzehntelang bestens eingebettet war, abrückte.
Tantawi gilt als "Mubaraks Pudel"
Tantawis Karriere spielte sich stets eng an der Seite Mubaraks ab. Seit mehr als 50 Jahren trägt er Uniform, kämpfte und kommandierte in allen wichtigen Kriegen, an denen Ägypten beteiligt war. Anfang der neunziger Jahre schließlich wurde er Verteidigungsminister, in einem Militärstaat wie Ägypten einer der wichtigsten Posten im Kabinett Mubaraks, der ihn auch noch zum Vize-Premier beförderte. Tantawi war einer der engsten Vertrauten des nun gestürzten Führers. Nun soll er das neue Ägypten aufbauen.
Als Reformer war Tantawi bisher nicht bekannt. Ganz im Gegenteil: Der Feldmarschall gilt als "Mubaraks Pudel", starrsinnig und reformfeindlich zugleich. Der bereits 75-Jährige wird in mehreren US-Botschaftskabeln nicht gerade schmeichelhaft beschrieben. Innerhalb der Armee, so eine der Analysen laut der "New York Times", dulde er keinerlei Widerspruch. Zudem stehe Tantawi "sowohl wirtschaftlichen als auch politischen Reformen" feindlich gegenüber. Wie Mubarak setze er auf die Erhaltung des "Status quo bis ans Ende ihrer Zeit". Das Kabel stammt aus dem Jahr 2008.
Die Aussagen aus den Depeschen sind frappierend, werden dort doch genau die Aufgaben beschrieben, die nun von Tantawi und seinen Leuten erwartet werden. Bisher gibt es selbst unter wohlwollenden Diplomaten in Kairo niemanden, der Hinweise darauf hat, dass sich der Feldmarschall seit der Erstellung der Analyse verändert hat. Die Frage sei eher, ob in dem Apparat des Militär-Rats neue Gesichter seien, auf die man setzen könne, hieß es. Bisher aber sei das Gremium nicht mehr als ein "unheimlicher Unbekannter", so ein Diplomat, über den lediglich die USA einige Informationen besäße.
Militär als Staat im Staat
Doch es ist nicht nur Tantawi, der als Führungsfigur Zweifel an dem Reformwillen des Militärs aufkommen lässt. Wie in anderen von der Armee dominierten Staaten hat sich diese auch in Ägypten als Staat im Staat aufgeplustert. Das Militär besitzt riesige Landflächen im Wert von Milliarden von Dollar. Die Offiziere wohnen in schicken Siedlungen, haben etliche Privilegien und schieben sich im zivilen Leben Staats-Aufträge und Gefälligkeiten zu. Viele werden sich nun fragen, warum sie dieses gute Leben aufgeben sollen, nur um einen gerechten Staat aufzubauen, der ihnen nicht nützt.
Das Aufbrechen dieser korrupten Strukturen, des Bereicherungssystems der bisherigen Eliten, es wird im Reformprozess ein Gradmesser für den Erfolg sein. Dass sich die Eliten, und zu diesen gehören die Offiziersränge im Nil-Staat, hemmungslos die Taschen voll machten, in Kairo wie Könige residieren, viele andere Bevölkerungsschichten aber leer ausgehen, gehörte zu den Motivationen für viele Demonstranten. Sie riskierten ihr Leben, gingen auf die Straße, um diese Schattenwirtschaft zu brechen. Bleibt dieses System aber unangetastet, wird das langfristig zu neuen Spannungen führen.
Ähnlich heikel wird eine Frage, die im vom Mubarak-Sturz berauschten Ägypten noch gar nicht diskutiert wird - die Aufarbeitung der brutalen Herrschaft des Mubarak-Regimes, das jeglichen Widerstand mit eiserner Faust unterdrückt hat. Wie ausgerechnet das Militär, teils durch den militärischen Geheimdienst und diverse Sondereinheiten tief verstrickt in den aufgeblähten Verfolgungsstaat, einen Weg der Aussöhnung zwischen den Folterern und ihren Opfern und die dringend notwendige Verfolgung der politisch Verantwortlichen einleiten soll, erscheint völlig unklar.
Es wird eine Weile dauern, bis sich die Opposition der vielen Fragen gewahr wird, die sich nach der Machtübernahme des Militärs stellen. Im Rausch der Revolution feiert man zunächst den gemeinsamen Sieg. Die Organisatoren der Demos sagten in der Nacht zum Samstag dann auch erst auf mehrmalige Nachfrage, man wolle die Arbeit des Militärrats genau beobachten. Wenn diese ihre Versprechungen nicht halten, würde man eben wieder mit Demonstrationen beginnen. Ob die Bewegung jedoch dann noch das nötige Momentum hat, kann heute wohl niemand sagen.
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